Zeitsprung

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Die Morgensonne war bereits stark und die felsige Bergkette vor ihm wurde in ein helles Licht gefärbt. Marc schnappte sich einen Riegel aus seiner Trailweste. Was für ein Anblick! Zum Glück war er früh genug losgefahren. Vor ihm liegt der schmale Pfad, der auf den Gipfel führt. Rechts führt der Wanderweg, auf dem er bisher gelaufen war, in die Hochebene runter. Darauf fängt weiter hinten der Wald an, in den er später laufen wird. Er verstaute die leere Verpackung und nahm ein paar Schlucke aus seiner Trinkblase. Dann macht er sich auf den Weg zum Gipfel.

Kurze Zeit später betrachtet er den View von der Spitze! Er stellte sich vor das Kreuz und macht ein paar Fotos von der 360° Aussicht. Marc freute sich schon darauf, später seinem Kumpel eines zu senden. Sven hatte ihm die Tour empfohlen und obwohl es schon jetzt sehr heiss war, bereute er keinen Höhenmeter, den er heute erklommen hat. Er machte sich auf den Weg, auf den Abstieg. Die nächsten zwei Kilometer waren steil und haben Kraft und Zeit gekostet.

Als Marc auf der flachen Ebene ankam, war er verblüfft über die Beschaffenheit des Bodens. Der Boden glich einem Moor und es fühlte sich an, als würde er auf einer leicht federnden Unterlage laufen. Das war zwar etwas ungewohnt, eignete sich aber auf flachem Terrain nicht schlecht, um ein wenig schneller zu laufen. Bisher hatte er nur steile Anstiege und Abstiege, deshalb begrüsste er es, für einmal etwas Speed aufzunehmen. Zwar stand die Sonne jetzt schon höher und er begann mehr und mehr zu schwitzen. Egal, es sind nur noch ein bis zwei Kilometer und er würde sich für einen Moment in den Schatten setzen und eine Pause einlegen.

Als er den Wald erreichte, setzte sich Marc im Schatten auf einen gefallenen Baum. Er legte seinen Rucksack ab und trank. Der Schweiss lief ihm in Strömen über das Gesicht, aber er war zufrieden. Hier konnte er kurz rasten, bevor er den nächsten Abschnitt anging. Doch plötzlich vernahm er einen lauten Ausruf in der Ferne. Er war sofort alarmiert. Die einzigen anderen Wanderer hatte er vor mehr als zwei Stunden gesehen. Er legte den Rucksack wieder an und ging leise weiter in den Wald. Je weiter er vordrang, desto mehr Geräusche machte er aus. Plötzlich hörte er ein metallisches Klirren. Und dann noch eines. Was war das? Er näherte sich behutsam und versuchte zwischen den Bäumen vor ihm auszumachen, was da vor sich ging. Es klangen Gelächter, Schreie und immer wieder dieses Klirren zu ihm durch. Er konnte mehrere Menschen aus der Ferne sehen und traute seinen Augen nicht. Die Menschen, die er sah, waren gekleidet wie in einer anderen Zeit. Er konnte sehen, dass ein Schmied auf ein Stück Metall klopfte. Dann sah er zwei Männer in einer Ritterrüstung. Was ist da los… ist er durch einen Zeitsprung in einer anderen Zeit gelandet?

Was ist hier los? Er überlegte, ob er einfach in die Szene laufen sollte, um zu schauen, ob hier ein Film gedreht wird. Aber was ist, wenn nicht!? Er entschied sofort, sich zurückzuziehen. Als er sich umdrehte, sah er ein Mädchen, das mit schmutzigem Gesicht und grossen Augen vor ihm stand. Sie war gekleidet wie im Mittelalter. Er sagte leise: “Ehmm Hallo …“ und legte seinen Zeigefinger auf die Lippen. Das Mädchen schien das nicht gross zu interessieren. Sie starrte ihn nur an, rannte in Richtung der anderen Menschen und fing laut an zu schreien. Oh nein … dachte er sich und sein Herz begann innert Sekunden schneller zu schlagen.

Marc rannte los. Mittlerweile war ihm klar, dass er jetzt gerade nur weg von hier wollte. Er lief durch die Bäume und versuchte sich in die Richtung entlang des Waldrandes zu halten. Zwar war es noch ein gutes Stück entfernt, aber er hörte, dass hinter ihm ein Aufruhr aufkam. Menschen fingen an, sich in Bewegung zu setzen. Zwar war er vermutlich fitter als die meisten von denen. Aber er kennt das Gebiet nicht. Ausserdem weiss er auch nicht, ob noch mehr davon hier rum sind, oder ob sie auch Pferde haben. Er kann sehen, dass es vor ihm bergab geht. Unten macht er einen Fluss aus. Zwar ist der Abhang etwas zu steil, um zu rennen, aber unwegsames Terrain konnte ihm einen Vorteil verschaffen. Er konzentriert sich, um nicht in der Eile zu stürzen oder sich zu verletzen.

Unten angekommen springt er über ein paar Steine und läuft über eine Lichtung. Nach zwei Minuten steht er vor einem Fluss, der Knie- bis Hüfttief ist. Marc überlegt nicht lange und springt hinein. Das kalte Wasser durchdrang sofort seine Schuhe und seine Kleidung, aber in dem Moment spürte er nur, wie das kalte Wasser ihm einen weiteren Adrenalinschub verlieh.

Am anderen Ufer angelangt, wagt er einen kurzen Blick zurück. Zwei Männer kamen aus dem Wald gerannt und weitere schienen dahinter zu folgen. Er versuchte, keine Zeit zu verlieren und rannte auf den nächsten Anstieg zu. Als Marc die ersten Meter der steilen Böschung erklommen hatte, blickte er zurück in Richtung Fluss. Die ersten beiden Verfolger waren an der Uferlinie angekommen, aber sie wirkten zögerlich, als würden sie nicht ins Wasser gehen wollen. Klar, mit so einer Rüstung würde er auch nicht in einen Fluss springen.

Jetzt wurde der Anstieg noch anspruchsvoller. Vor ihm wurde der Hügel immer steiler. Der Untergrund bestand aus loser Erde und Geröll. Jeder falsche Tritt könnte dazu führen, dass er stürzt. Aber er musste weiter gehen, also kletterte er weiter hinauf, zog sich an Wurzeln und Felsen empor. Hinter sich hörte er immer noch Rufe, aber sie klangen gedämpfter. Vielleicht hatten sie die Verfolgung schon aufgegeben. Endlich erreichte er den höchsten Punkt und das Terrain wurde wieder flacher. Marc schnappte keuchend nach Luft und trank ein paar schnelle Schlucke aus seiner Flasche. Er war noch nicht in Sicherheit, aber zumindest konnte er ein wenig Kraft tanken für das, was noch vor ihm lag. Von hier aus konnte er über die Baumkronen hinwegsehen. Doch wie gelangt er zurück?

Er ging vorsichtig in die Richtung, in der er vermutet, heute früh seinen Lauf gestartet zu haben. Noch immer war er nicht sicher, ob die unreale Szene von zuvor vorbei war und hinter sich lag, Marc hatte für heute genug Abenteuer und wollte um jeden Preis vermeiden, erneut so eine Begegnung zu haben. Erst einmal musste er herausfinden, was hier los ist. Und dazu wollte er als Erstes zurück zu seinem Wagen. Während er nach Orientierung suchte, lichtete sich der Wald wieder und er konnte in der Ferne einen Wanderweg erkennen. Nachdem er sicher war, dass es in seiner Nähe keine solche Szene gab und keine Verfolger hinter sich waren, rannte er los. Er würde nicht anhalten, bis er den nächsten Schutz erreicht. Plötzlich entdeckte er in der Ferne etwas Unerwartetes. In Richtung des Wanderweges entdeckte er einen Zaun, der den Abschnitt zwischen zwei Felsen versperrte.

Mit neuer Energie setzte Marc seinen Lauf fort. Er rannte weiter über das offene Feld und erreichte den Zaun. Es war alles andere als ein Kunstwerk und der Zaun sah aus, als wäre er eher notdürftig zusammengezimmert worden. Er sprang hoch, zog sich nach oben und kletterte über die Absperrung. Als er auf dem Boden auf der anderen Seite landete, sank er erst einmal zusammen. Vorerst war er in Sicherheit.

Als er wieder zu Atem kam, blickte er sich um. Da bemerkt er ein grosses Holzschild am Zaun. Darauf stand in fetten Buchstaben:

„Achtung! Zutritt verboten! 2-wöchiges Mittelaltertreffen. Bitte respektieren Sie die Privatsphäre der Teilnehmer. Jede Haftung wird ausgeschlossen.“

Marc starrte das Schild an, während sein Herzschlag sich langsam beruhigte. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Die ganze Verfolgungsjagd, die Panik, die Absurdität – alles fiel ihm in diesem Moment auf einmal wie Schuppen von den Augen. Es war zwar kein Zeitsprung und keine Filmszene, aber die Menschen, die er sah, waren in ihre Rollen als Ritter und Menschen aus einer anderen Zeit geschlüpft. Es war ein Mittelalter-Treffen … nichts weiter. Kein Zeitsprung und keine echte Gefahr!

Er setzte sich ins Gras, das Gesicht zur Sonne gewandt, und lachte in sich hinein! Dann dachte er darüber nach … genau aus diesem Grund unternahm er diese Ausflüge!

Marc stand auf und schulterte seinen Rucksack – jetzt war es an der Zeit, sich auf den Weg zurück zu machen. Dieses Abenteuer würde er noch lange in Erinnerung halten und genau für solche Momente musste er regelmässig aus seinem Alltag ausbrechen.

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