Weisse Bestie

weisse bestie_lost on trails

Nachdem ich vom Gipfel zurückgekommen war, sassen die beiden Wanderer immer noch an der Stelle. Die Spitze lag weiterhin in Wolken. Die beiden sassen still da und genossen ihr Pick-Nick. Sie wollten noch einen Moment abwarten, um zu sehen, ob sich die Wolken doch noch verziehen würden. Der Gipfel war mit knapp 1916 müM der höchste Punkt auf meiner Route.

Wir hatten zuvor die Routen verglichen und festgestellt, dass wir den gleichen Weg hinter uns hatten. In den nächsten 3 Km würden unsere Wege aber einen andern Turn nehmen. Ich wollte sie nicht weiter beim Pick-Nick stören, also verabschiedeten wir uns.

Ich schnappte mir mein Handy und folgte auf dem Bergkamm dem Pfad. Von diesem Punkt aus war die Sicht ins Tal fantastisch. Ich freute mich, dass das Wetter tatsächlich zu halten schien. Vor mir lag eine grüne Landschaft mit weissen Felsen und Steinen und der Trail war perfekt. Trittsicher, einsam und vor einem atemberaubenden Bergpanorama. Ich fing wieder leicht an zu traben. Man war ich froh, dass ich trotz vagem Wetterbericht, heute diese Trailroute gewählt habe. Und kaum zu glauben … ich war erst ca. eine Stunde unterwegs und hatte den höchsten Punkt bereits erreicht.

Gedankenverloren lief ich weiter auf dem schmalen Pfad, als mich plötzlich ein lautes Brüllen in ALARM versetzt. Ich höre, wie ein wildes und energisches Bellen schnell auf mich zurennt. Ich hob meinen Blick und ein paar Meter vor mir rennt ein riesiger weisser Hirtenhund auf mich zu. Er bellt, fletscht die Zähne und knurrt mich an, während er schnell auf mich zurennt. Ich liess die Augen nicht von ihm ab, aber ich musste schnell zurückweichen, um zu vermeiden, dass er mich angriff.

Nachdem ich zurückwich – und froh war, dass ich nicht gestolpert bin, bleibt er stehen und brüllte mich weiterhin an. Ich verstand die Welt nicht mehr. Mein Herz raste! Das Tier, was an einen Wolf erinnerte, verpasste mir einen heftigen Adrenalinschock. Ich frage mich, was ihn dermassen in Rage versetzt hatte. Vielleicht hatte ich ihn aus dem Schlaf geweckt!? Vielleicht hatte ich ihn überrascht und bin zu schnell auf ihn zugerannt. Was auch immer es war, die weisse Bestie hatte mich voll auf dem falschen Fuss erwischt!

Da ich mich auf den Pfad konzentrierte, hatte ich ihn erst gesehen, als er bereits auf mich zuschoss. Nachdem ich nochmal ein paar Meter zurückgewichen war, ging auch er ein paar Schritte zurück. Zwar beobachtete er mich weiterhin, er bellte und bleckte ab und zu seine Zähne. Aber er griff vorerst nicht mehr an.

Ich musste eine Lösung finden!

Wenn ich die geplante Route weiterlaufen wollte, muss ich neben dem Hund durchkommen. Die Alternative ist, den Lauf abzubrechen und den gleichen Weg zurückzulaufen. Aber da ich heute nicht nur für diesen einen Gipfel früh aufgestanden war, war das die letzte Option.

Nein… ich hatte fest vor, als Nächstes durch die Urlandschaft zu laufen und wollte auf keinen Fall umdrehen. Weniger als alles andere wollte ich aber fernab und auf mehr als 1900 müM von einem Hirtenhund gebissen werden. Ich schaute mich um, was ich tun könnte, um neben dem Tier durchzukommen. Da es der einzige Weg war und das Terrain zu steil war, um querfeldein zu laufen, musste ich auf diesem Weg bleiben.

Kann ich den Hund vertreiben? Ich sah Steine und auch ein paar Zaunpfähle herumliegen. Damit könnte ich mich zwar schützen – aber will ich mich wirklich auf einen Kampf einlassen? Nein, das ist keine Option! Während ich nachdachte, sprach ich dem Hund die ganze Zeit zu: ”Alles klar, du passt hier auf. Kein Problem, ich tue dir nichts. Genug gebrüllt, es gibt genug Platz für uns beide. Ich werde jetzt hier vorbeigehen und tue dir nichts.” Gelegentlich antwortete die weisse Bestie mit Gebell und Geknurre! … was mir zeigte, dass er noch nicht ganz einverstanden zu sein schien. Und er liess mich nicht passieren – noch nicht!

In diesem Moment hörte ich von hinten Rufe, von den beiden Wanderern: “Warte, wir kommen jetzt auch gleich. Lass uns zusammen durchgehen.” Als sie bei mir waren, sagte er, dass zuvor zwei Wanderer passierten, ohne dass der Hund reagierte. Warum er aber bei mir so durchdrehte, blieb ein Rätsel.

Auch als wir zu dritt waren, hörte er nicht auf, uns anzusehen und zu bellen. Aber wir gingen behutsam in so grossem Bogen wie möglich um den Hund herum. Wir liessen ihn dabei nicht aus den Augen. Die Frau hatte definitiv Angst oder grossen Respekt vor dem Tier! Aber uns allen war klar, dass es keinen anderen Weg gab als diesen, um weiterzukommen. Auch überraschend war, dass er hauptsächlich mich feindlich anbellte.

Bevor wir durchkamen, sagte mir der Wander-Kollege, nimm mal deine Mütze ab … irgendwas scheint ihn an dir zu stören. Aber auch das half nichts, der Hund war weiterhin feindselig gestimmt. Vielleicht lag es auch daran, dass ich hauptsächlich dunkel gekleidet war. Dunkelblaues Shirt, grau/schwarze Hose und einen schwarzen Hut. Ich weiss, dass Hunde, die abgerichtet werden, z.B durch Menschen in schwarzer Kleidung schlecht behandelt werden. Dadurch entwickeln sie Aggressionen gegenüber schwarz gekleideten oder dunkelhäutigen Menschen. In der Regel tragen sie diese Züge für den Rest ihres Lebens in sich.

Was auch immer das Problem war, ich war froh, als wir den Hund hinter uns liessen. Ich bedankte mich noch ein paar mal bei dem Wander-Paar. Sie haben mir in der Höhe die Passage beim Hirtenhund gerettet. Wir wechselten noch ein paar Worte, lachten und waren verblüfft, dass auch das Abnehmen der Mütze nichts half. Er sagte zum Abschied: “Keine Angst … wir hätten dich nicht gebeten, mehr Kleidung abzulegen!” 😉

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