Vor mir auf dem Trail

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Nach 700 Metern mündet die Strasse endlich auf den Landwirtschaftsweg ein. Jetzt fühlt sich mein Schuh gleich viel weniger fehl am Platz als zuvor auf der asphaltierten Strasse. Der Weg führt mich entlang eines kleinen Flusses. In meiner Kindheit wurde dieser kanalisiert und vor einigen Jahren wieder renaturiert. Und weil es ursprünglich auch so war, wurde ein neues Biber-Pärchen ausgesetzt.

Jetzt …. Ein paar Jahre später, entpuppen sich die Biber in dem Gebiet als wahre Herrscher – leider ohne natürliche Feinde. Also tun sie, was jeder Herrscher ohne Gegenwehr tut. Sie breiten sich aus, bauen Staudämme, fällen Jahrzehnte alte Bäume und bringen das eine oder andere Feld der Landwirte dazu, bei anhaltendem Regen geflutet zu werden.

Aber für mich als Läufer bietet es zumindest eine angenehme Abwechslung zu sehen, wie die Tiere ein sonst so kontrolliertes Gebiet hie und da zum Kippen bringen. Deshalb kann ich es auch nicht lassen, meine Standardrunde wöchentlich zu besuchen. Zum einen die absolute Natur und Stille – (ok … gelegentlich mit Traktorenlärm und Abgas sowie Staubwolken) – und zum anderen die verlassene Landschaft. Obwohl es ein bekannter Pfad ist, begegnen mir innert einer Stunde höchstens eine Handvoll Menschen … oft drehe ich meine Runden aber in absoluter Einsamkeit.

Aber nicht heute … denn schon bevor ich auf den Naturweg erreicht habe, ist 50 Meter vor mir ein Läufer durch geflitzt. Er hat mir noch freundlich zugewunken – und obwohl ich es eigentlich nicht mag, bei einem gemütlichen, langsamen Dauerlauf jemanden vor oder hinter mir zu haben, bin ich trotzdem bei der geplanten Route geblieben.

Ich konzentriere mich darauf, meinen Puls flach zu halten und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Nachdem meine Uhr den ersten Kilometer kommentiert, merke ich schon, dass ich viel zu schnell unterwegs bin. Mist! So wird das doch kein gemütlicher Dauerlauf – zudem fällt mir ein paar hundert Meter später auf, dass der Abstand zum Läufer vor mir zwar langsam, aber trotzdem merkbar grösser wird.

Immer ruhig bleiben, das ist schliesslich kein Wettrennen, und ich muss mich heute mit niemandem messen. Als ich daran denke, fällt mir eine Laufrunde ein, die ein paar Jahre zurückliegt. Damals habe ich mich sonntags nach dem Frühstück auf den Weg gemacht, um wieder einmal die 20Km zu knacken. Und nach den ersten 2000 Metern habe ich gemerkt, dass sich ein ambitionierter Läufer in seinen 60ern ein paar hundert Meter hinter mir auf den gleichen Pfad begibt. Und um das ganze ein wenig zu verdeutlichen, hat er nach kurzem damit begonnen, kurze Sprints mit einzubauen.

Echt jetzt!? Muss der Typ wirklich am Sonntag früh hinter mir anfangen, sein Intervall-Training auf den Pfad zu hämmern? Das ist absolut nicht, was ich gerade brauche, um heute auf 20Km zu kommen. Und obwohl ich versuche, mich von seinen Sprints nicht beirren zu lassen, merke ich, dass er es darauf abgesehen hat, mich vor der nächsten Biegung einzuholen.

Ohne dass ich mich darauf eingestellt habe, merke ich, dass auch ich an Tempo zugelegt habe. Mein Puls schnellt in die Höhe und ich höre bereits wie sein schnelles Atmen und die Schritte auf dem Kiesweg hinter mir näher kommen.

Ok, jetzt reicht es aber! Auch wenn mir das mein ganzes Laufprofil vermiest, ich werde doch hier nicht hinhalten, damit er in mit über 60 damit angeben kann, dass er noch 20+ Jahre jüngere bei seinen Laufrunden stehen lässt! Versteh mich nicht falsch, ich hatte bisher keine grossen Ambitionen, was das Laufen angeht. Und ganz besonders nicht beim Training. Ich kann durchaus damit leben, dass ich langsam laufe und andere schneller sind als ich. Meine einzigen Ziele bestanden bisher darin, regelmässig meine Runden zu erweitern und mein gestriges Ich zu schlagen. Aber … alles hat seine Grenzen!

Klar, ich gönne ihm das Glücksgefühl, wenn er mich überholt – aber das hat seinen Preis. Und wenn er nicht bereit ist, den zu bezahlen, bleibt er halt trotz Sprints und Steigerungsläufen hinter mir. Nach einer kurzen Biegung stelle ich fest, dass ihm das offenbar nicht geschmeckt hat. Denn er hat an der Kreuzung abgedreht und einen anderen Weg eingeschlagen.

Und so ist es auch heute wieder. Zwar lasse ich mich viel zu sehr dazu hinziehen, die Pace vom Läufer vor mir anzunehmen und sein Tempo mitzugehen. Nach 3.5Km komme ich aber um eine lange Kurve und sehe, dass er umdreht hat. Nun läuft er zurück in die Richtung, aus der er gekommen ist. Als sich unsere Wege kreuzen, grüssen wir uns gegenseitig und jeder geht seinen Weg weiter. Endlich … denn auch wenn es mich nicht komplett ausgepowert hat, war die Pace einfach zu hoch, um das während einer Stunde durchzuziehen.

Den Rest meines Trainings laufe ich alleine. Ich merke schnell, dass es mir massiv mehr Spass bereitet, als mich von anderen verfolgen oder mitziehen zu lassen. Für mich ist und bleibt Laufen ein Einzelsport. Klar mag ich die Stimmung, gemeinsam mit anderen einen Gipfel zu erklimmen. Und ich mag es auch, gemeinsam ein Ziel zu erreichen und sich gegenseitig anzufeuern. Aber wenn ich wählen kann zwischen Laufgruppe oder meine eigene Runde, wähle ich 9 von 10 Mal die einsame Runde!

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