Traillauf ans Limit

Traillauf-lostontrails

Als sich Tania für den Traillauf eingetragen hatte, war sie sich zwar bewusst, worum es dabei geht. Aber sie konnte sich nicht im geringsten ausmalen, was das mental und vor allem körperlich wirklich bedeutete. Dieser Traillauf ist mit keinem anderen Erlebnis vergleichbar, das sie bisher gemacht hatte. Ausserdem konnte sie sich physisch nicht so vorbereiten, wie dies normalerweise der Fall war. In der Regel erreichte sie jede Woche ihre gesetzten Kilometer- und Höhenmeter Ziele. Und wenn möglich versucht sie auch, sich in den Monaten vor dem Rennen, an das Terrain und die Umgebung zu gewöhnen.

Bei einem Traillauf der durch Wüstenabschnitte führte, war das gar nicht so einfach. Sie versuchte, die Trainings mit wenig Verpflegung durchzuziehen. Gelegentlich hängte sie nach der Arbeit den einen oder anderen Nachtlauf an. Aber die Bedingungen von Hitze oder die Dürre in der Wüste liess sich so nicht simulieren. Egal, man kann sich eben nicht auf alles vorbereiten.

Dann war es soweit. Frühmorgens klingelte der Wecker, sie schnappte den Rollkoffer und machte sich auf den Weg in Richtung Flughafen. Endlich war das Warten nach dem Check-in vorbei und das Boarding endlich durch. Dann startete die Maschine in Richtung Santiago de Chile. Kurz danach schloss Tania die Augen und glitt in einen unruhigen Schlaf. Immer wieder wurde sie geweckt von ihrem unruhigen Platznachbar. Aber zum Glück hatte sie in den letzten Wochen einen krassen Schlafmangel aufgebaut. Somit driftete sie immer wieder schnell in einen leichten Schlaf ab.

In Santiago angekommen hatte sie einen weitere Inlandflug, bevor sie in Calama ihre erste Unterkunft bezog. Die Tage nach der Ankunft fühlte sich Tania absolut platt. Der Jetlag machte ihr mehr zu schaffen als je zuvor. Aber sie nutzte diese Tatsache, für die letzten beiden harten Trainings, bevor sie ihr Training reduzierte. Danach erkundete sie mit leichten Wanderungen die Region um einen Überblick über das Gebiet zu erhalten.

Dann war es soweit. Das Rennen stand vor der Tür und Tania fühlte sich bereit für das Abenteuer. Nach dem Start zog sich die Gruppe schnell auseinander. Ihr war bewusst, dass sie über die 125 Km nicht mit der Spitze würde mithalten können. Ausserdem wusste sie, dass ein Traillauf wie dieser immer erst in der zweiten hälfte entschieden wurde. Also galt es, die Energie weise einzuteilen. Das hier war eines der härtesten Rennen der Welt und es würde auch für sie kein Spaziergang werden. Jedes Jahr nahmen hier rund 300 der zähesten Läufer teil. Nicht selten kamen weniger als die Hälfte ins Ziel.

Der Traillauf startete in einem abgelegenen Wüstendorf und führte sie durch unreal wirkende Gegenden. Die Route führte durch ein Gebiet mit ausgetrockneten Salzseen. Später passierten sie felsige Canyons und Tania war froh, dass es Abschnitte gab, in denen etwas zwischen ihr und der Sonne stand. Als sie die Canyons hinter sich liess, stand die Sonne bereits tief und näherte sich dem Horizont. Der letzte Abschnitt hatte viel Kraft gekostet. Sie spürte, dass die vielen Höhenmeter und die extremen Bedingungen ihren Beinen zusetzten. Jeder Schritt fühlte sich an, als hätte sie Blei in den Schuhen.

Als nächstes wartete ein erneuter Wüstenabschnitt auf sie. Der Wind wurde stärker und blies über die offene Ebene. Jetzt wünschte sie sich den Schutz der Canyons zurück. Aber es half nichts, die Canyons lagen bereits hinter ihr. Sie hatte sich im Vorfeld gut über das Rennen informiert und vor diesem Abschnitt hatte sie grossen Respekt. Die extremen Bedingungen mit der brütenden Hitze durch den Tag und eisiger Kälte in der Nacht ist mit nichts zu vergleichen. Jetzt trat ein, was sie noch mehr beunruhigte. Der Wind wurde kontinuierlich stärker und sie musste mit Sandstürmen rechnen. Das würde die Navigation nicht gerade einfacher gestalten. Aber auch das konnte sie nicht stoppen.

An fast jedem Verpflegungsposten begegnete sie Läufern, die nicht mehr konnten und das Rennen abbrachen. Tania war froh, dass sie weiterhin vorankam und immer noch Energie hatte. Als die Nacht sich dem Ende zuneigte, wusste sie, dass sie ins Ziel laufen würde. Aber je weiter sich das Rennen zog, desto mehr Kraft kostete es. Es gab Momente, an denen sie nicht anders konnte, als anzuhalten, sich hinzusetzen und für ein paar Minuten die Füsse zu entlasten. Immer wieder kamen Krämpfe auf. Ab und zu wollte sie nichts als einfach nur die Augen zu schliessen. Je weiter es sich zog, desto mehr hinterfragte sie, was sie hier genau tat…

Der letzte Anstieg auf das Hochplateau forderte noch einmal alles von ihr. Sie kämpfte mit Schmerzen und Krämpfen in den Beinen als sie mit schweren Schritten den Trail hochwanderte. Tania war dehydriert und sie fühlte sich,, als würde sich im Schneckentempo den Berg hoch kriechen. Dann brach sie in Tränen aus… sie konnte nicht mehr… sie wollte nicht mehr… und sie verfluchte alles, was sie hierhin gebracht hatte. In diesem Moment kamen Zweifel und Ängste in ihr hoch, die sie seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Ihr wurde alles zu viel!

Doch genau in diesem Moment spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter. Sie drehte sich um und blickte in das freundliche Gesicht eines älteren Herren. Er wirkte noch absolut frisch und seine Aura strahlte eine unglaubliche Ruhe aus. Er lächelte ihr freundlich zu und sagte nur einen einzigen Satz: “ Es ist nicht der Körper, der Dich ins Ziel bringt – es ist Dein Herz!”

Diese Begegnung gab ihr unglaublich viel Kraft. Als sie ihm nachschaute war Tania erstaunt, wie leichtfüssig der Mann den Hügel hochrannte. Dann trank sie ein paar Schluck aus ihrer Trinkblase und biss die Zähne zusammen. Sie wiederholte ein paar Mal ihre Mantras im Kopf und legte erneut einen Zacken zu. Wenn dieser Herr noch so vorankommt, warum nicht auch sie? Als der Trail sich dem Ende zuneigte, merkte Tania, dass das Ziel unmittelbar vor ihr lag. Es gab ihr Kraft, als sie merkte, dass sie schon fast im Ziel war. All die Schmerzen der letzten Stunden taten jetzt nichts mehr zur Sache. Sie biss sich auf die Lippen und drehte noch einmal auf. Die motivierenden Worte und der Ausblick auf auf das Ziel gaben ihr neue Energie.

Dann überquerte sie die Ziellinie und sank in sich zusammen. Sie war überglücklich und konnte nicht fassen, dass sie es geschafft hatte. Das Leiden und die Qualen der letzen Stunden gingen ihr nochmal durch den Kopf. Jetzt war ihr absolut klar, warum dieser Traillauf zu einem der härtesten Rennen der Welt gehörte. Sie war froh, dass sie den Lauf überstanden hatte und ins Ziel gelaufen war. Aber sie könnte sich nicht vorstellen, diese Strapazen noch einmal über sich ergehen zu lassen.

Nach einigen Momenten, machte sie sich auf die Suche nach dem Mann, der ihr kurz vor dem Ziel Mut gemacht hatte. Sie wollte sich unbedingt bei ihm bedanken! Doch er war nirgends zu sehen. Nur wenige waren in den Letzen Stunden im Ziel eingetroffen. Aber niemand hatte einen Läufer nach ihren Beschreibungen gesehen. Was war das? War er echt oder hatte sich ihre Psyche seine Erscheinung nur eingebildet? Tania konnte es nicht sagen…. aber sie würde in den kommenden Wochen noch oft an seine Erscheinung zurückdenken!

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