Die Bäume lichten sich und der Waldweg mündet vor mir auf eine asphaltierte Strasse. Die letzten drei Kilometer ging es vom sonnigen höchsten Punkt langsam zurück in dichten Nebel. Zwar ist es für Anfang November relativ mild – aber die Anstrengung macht sich langsam bemerkbar und meine Uhr steht bereits bei Kilometer 31.
Ich bin das erste Mal an diesem Event, aber schon jetzt sehe ich, was mich in den letzten Kilometern noch erwartet. Die Strecke vor mir führt auf asphaltierter Strasse in Richtung Dorf. Bevor es aber auf die Zielgerade geht, führt der Weg nochmal über langgezogene Feldwege. Vor mir läuft immer noch die gleiche junge Frau, die bereits seit KM 15 – mal vor und mal hinter mir läuft. Im letzten Abschnitt nach dem 3. Verpflegungsposten haben wir zwar mindestens ein Dutzend Läufer überholt und hinter uns gelassen.
Noch ein paar Wochen zuvor hätte auch ich mich zurücknehmen, Krämpfe ausharren und Pausen einlegen müssen. Aber heute zahlt sich das intensive Training und die vielen Höhenmeter der letzten Wochen aus. Ich habe immer noch Energie und merke, dass ich für die letzten Kilometer nochmal aufdrehen kann. Die Frau vor mir sieht nach wie vor aus, als würde ihr der Lauf leicht von den Füssen gehen. Jedes Mal, wenn der Weg kontinuierlich abwärts geht, lege ich einen Zahn zu und laufe an ihr vorbei. Dann baue ich einen kleinen Abstand auf. Aber sobald ein Anstieg kommt, tanzt sie irgendwann wieder leichtfüssig an mir vorbei.
Ich bewundere, wie frisch ihr Laufstil nach der Distanz noch aussieht. Obwohl ich selbst nicht gerade ein “Stampfender Läufer” bin, fühlen sich die Schritte mittlerweile nicht mehr frisch an. Wie auch zuvor führt die Strasse ein gutes Stück abwärts. Und so kommt es wie auch zuvor, dass ich die junge Frau mit ihren tänzelnden Schritten überhole und hinter mir lasse. Sie sieht zwar sehr leichtfüssig aus, aber obwohl es abwärts geht, wird sie nicht merklich schneller.
Ich lasse es zum Endspurt einfach laufen. Das hört sich zwar logisch an, aber oft muss man bei Downhill Abschnitten auf den Trails sehr gut darauf achten, wo man hintritt. Gerade wenn die Kraft ein wenig schwindet, wenn es feucht oder uneben ist und wenn viel Laub auf dem Weg liegt. Und das ist der grosse Vorteil bei diesem Endspurt. Ich nehme richtig Geschwindigkeit auf und überhole beim Downhill und später auch auf den letzten flachen Stücken vor dem Ziel mehrere Mitläufer. Meine Uhr meldet sich mit einem nächsten Piep-Ton, der km 33 signalisiert.
Ungläubig blicke ich auf das Display … mein Puls ist relativ ruhig, aber die Zeit für den letzten Kilometer liegt knapp über 4 Minuten. Wahnsinn, solche Zeiten laufe ich in der Regel nie! Und jetzt, mit über 30 km in den Beinen, fühlt sich das nach den vorherigen Anstiegen schon fast locker an. Ich nehme auch wahr, dass es offensichtlich nicht allen so geht, einige Mitläufer sind mit ihren Kräften am Ende und gehen nur noch.
Der Downhill auf dem Asphalt war ein kleiner Boost und ich bringe auch die letzten flachen Abschnitte hinter mich. Als ich um die letzte Biegung komme und das Ziel ein paar Meter vor mir liegt, blitzt es erneut auf. Ich sehe die letzte Foto-Station und den Fotografen vor dem Ziel.
Ich ziehe meine Arme hoch … YES!! … Ich habe es geschafft!!
Hier bin ich vor knapp 4.5 Stunden gestartet! Mein Ziel war, die 36 Km und 1600 Höhenmeter in 5 Stunden zu laufen. Und ich war in diesem Moment überglücklich, dass ich es am Ende in 4h 28min – also über eine halbe Stunde schneller als geplant geschafft habe.
Achtung, auch wenn ich hier vermehrt schreibe, wie ich andere überhole, geht es mir nie darum, andere zu schlagen oder mich mit anderen Läufern zu messen! Ich laufe dieses (und eigentlich jedes) Event ausschliesslich für und gegen mich selbst. Mein Ziel ist einzig es zu schaffen – die gesteckte Zeit zu erreichen ist am Ende nur ein kleiner Bonus!! Und das Erlebnis selbst sowie das gemeinsame laufen motivieren mich zusätzlich.
Meine Learnings aus diesem Event?
- Nicht zu viel Zeit an den Verpflegungsposten verbringen!
- Weniger mitzuschleppen bedeutet, weniger Gewicht tragen. Ich bin mit 1.5 L in der Trinkblase gestartet und es hat absolut gereicht … es hätte vermutlich auch mit 1L gereicht!
- Solange ich in Bewegung bin. Komme ich vorwärts – auch wenn es nur langsam ist. Ich hatte bei einzelnen Abschnitten Momente, an denen mir die Puste ausgegangen ist. Und hier sind z.T vier, fünf an mir vorbeigezogen, die danach einen beträchtlichen Vorsprung hatten. Für die Zukunft sollte ich mir vornehmen, Tempo verlangsamen, aber zumindest in Bewegung bleiben.