Durch den Tag durch leitet Nico die Versandabteilung bei einem Onlinehandel. Früher ist er selbst noch als Kurier gefahren und hat Pakete zu den Kunden gefahren. Nachdem die Firma in den letzten Jahren aber ein unglaubliches Wachstum hingelegt hat, ist er aufgestiegen. Nun ist er dafür verantwortlich, dass 28 Kuriere ihre Arbeit verrichten und die Pakete verteilen. Er leitet die Abteilung seit über 1.5 Jahren und hat alle Fahrer unter sich. Diese sind zwar mitunter dafür verantwortlich, dass am Ende des Tages sämtliche Pakete beim Kunden ankommen. Aber nicht alle sind hier gleich pflichtbewusst. Nico liebt seinen Job und die Leute in seinem Team. Aber sobald die Arbeit getan ist, braucht er Abwechslung, Natur und vor allem Bewegung.
In der Regel verlässt er sein Büro, dreht den Schlüssel um und fährt direkt ins Naturschutzgebiet, das am Stadtrand anfängt. Hier kann er nicht nur seine Energie verpulvern, er umgeht damit auch den grössten Teil des Verkehrs auf dem Nachhauseweg. Heute merkt er schon, als er das Sitzungszimmer verlässt, dass er Energie verpulvern muss. Er ist nach der letzten Geschäftsleitungssitzung des Monats mehr gereizt als üblich! Ivo hat wieder einmal keine Ruhe gegeben und es nicht bei einer einzigen Moralpredigt belassen. Soll der Typ sich doch endlich um seinen eigenen Kram kümmern, anstatt ständig die Aufmerksamkeit auf alle anderen zu leiten.
Nachdem er sich in den Wagen gesessen hat und den Parkplatz hinter sich lässt, steuert Nico den nächsten Supermarkt an. Er dreht den Schlüssel und steigt aus. Während er im Eingangsbereich eine Flasche Wasser kauft, textet er nur kurz, dass es heute später wird. Heute hat die Arbeit Nerven gekostet – und mittlerweile weiss er, dass er in diesem “Mood” nicht nach Hause fahren sollte. Erst einmal musste er ein paar Kilometer rennen, er paar Hügel erklimmen und ein paar Spuren in den Trail treten.
Nach der heutigen Sitzung stand er schon wieder davor, einen Mitarbeiter entlassen zu müssen. Wie kann es sein, dass der Typ es nicht gebacken kriegt, alle Pakete zuzustellen. Fast bei jeder Tour gehen mehrere Pakete verloren. Nico selbst hatte sich dafür eingesetzt, dass der Typ überhaupt einen Job kriegt. Und jetzt das! Und noch dazu konnte ihm niemand erklären, wie das passiert! … jedes Mal, wenn eine Begleitung mitfährt, ist alles in Ordnung. Eigentlich hat er doch eine gute Menschenkenntnis! Irgendwas stimmt hier einfach nicht! Nico beschliesst, dass er noch eine Sache versuchen würde – Weihnachten steht vor der Tür und es ist wichtiger als sonst, dass alle Pakete eintreffen. Noch mehr aber kann er im Moment auf keinen einzigen der Fahrer verzichten. Der Druck, der auf ihm lastet, zwingt ihn dazu, eine Entscheidung zu treffen. Der tägliche Verlust kann so nicht weiter hingenommen werden.
Als er über die offene Fläche rennt, schaut er auf seine Uhr. Was… wie kann es sein, dass er schon bei 6.5 Km angelangt war? Er musste lächeln und merkte, dass sein Gesicht durch die Kälte frostig und steif anfühlte. Er legte sich die mittlerweile warmen Hände auf seine Wangen. Nico liebte es, bei kaltem Wetter zu laufen. Eigentlich liebt er es bei jedem Wetter, aber um diese Jahreszeit trifft man noch seltener auf andere Läufer. Nicht dass es von Bedeutung ist, aber irgendwie fühlt es sich an, als würde man trainieren und Fortschritte machen. Während alle anderen sich ausruhten und eine Winterpause einlegten. Ausserdem führt die Kälte auch dazu, dass man nicht so schnell Durst kriegt und weniger schwitzt als bei warmem Wetter! Heute spürt er, dass er trotz der Kälte noch ordentlich Energie hat und freut sich auf den nächsten Abschnitt.
An Tagen wie diesen braucht er genau das… Zeit und Energie, die er auf den Pfad schmettern kann. Dann findet er in der Regel auch die Lösung für das, was ihn gerade beschäftigt. Und so ist es auch heute. Er fasst eine Plan – aber er braucht noch ein wenig, um jedes Detail durchzudenken. Er will und muss sich selbst ein Bild davon machen, was da schiefläuft. Schliesslich kann er durch seine Software jederzeit sehen, wo sich seine Fahrer gerade befinden. Wäre doch gelacht, wenn er das nicht nutzen kann!? Morgen wird er sich selbst ein Bild davon machen, was da abgeht und mit ein wenig Glück sehen, wo die verlorenen Pakete landen. Und bevor er etwas Unüberlegtes tut, will er sichergehen, dass er nicht grundlos einen zuverlässigen Mitarbeiter entlässt. Ausserdem ist es auch möglich, dass etwas Unbekanntes im Spiel ist. Vielleicht bringt die Aktion nichts und er findet nichts Brauchbares heraus. Aber er muss es zumindest versuchen. Das ist er sich selbst und auch seinem Kollegen schuldig.
Vor dem Waldstück sah er sich erneut um. Heute musste er auf dem Abschnitt vor sich besonders vorsichtig sein. Der Trail auf der Ebene war nach dem Regen in letzter Zeit relativ matschig. Mittlerweile ist die aufgeweichte Erde aber richtig zugefroren. Vor ihm wartet noch ein felsiger Abstieg und er musste sich vorsehen, dass er nirgends abrutscht. Bereits beim Betreten des Waldes sah er Teile mit grossen zugefrorenen Pfützen. Der Pfad hatte stellenweise eine komplette Eisschicht gebildet. Nico achtet darauf, keine Fehltritte zu begehen und die Balance zu halten. Sobald der Weg abwärts führte, war aber der Waldboden normal geblieben und er kam gut voran.
Am nächsten Tag setzte er den Plan in die Tat um, er rief auf seinem Handy die Karte mit den Kurieren und deren Positionen auf. Als Erstes folgte er in sicherer Distanz dem Kurier mit der Nummer 7 auf seinem Screen. Kaum war er am ersten Weg des Quartiers eingebogen, fuhr Nico daran vorbei und parkte zwei Strassen weiter auf einem blauen Parkfeld. Er stieg aus und zog sich die Kapuze über. Zuerst rannte er die Strasse entlang und suchte nach dem kleinen Weg, der in die Querstrasse dahinter führte. Als er den Weg fand, blickte er zwischen den beiden Mehrfamilienhäusern durch und konnte nirgends den Lieferwagen sehen. Aber ihm stach etwas anderes ins Auge, zwei Jungs versteckten sich hinter einem kleinen Schuppen. Sie sahen abwechselnd in Richtung Strasse und gingen mal links rum, mal rechts rum, um dahinter hervor zu sehen. Was die wohl gerade für einen Streich spielen, fragte sich Nico.
Als er sich näherte, war er plötzlich verblüfft. Er sah, dass einer der Jungs in ein Walkie-Talkie sprach. Erst dachte er sich nichts dabei, aber plötzlich stoppte er schlagartig. Er wollte erst einmal sehen, was hier lief, bevor er entdeckt wird. Leise und schnell lief er nach rechts hinter eine Hauswand. Als er rechts neben dem Haus durch sah, fiel ihm noch etwas ins Auge. Auch da waren zwei Jungs unterwegs, und auch die beiden verheilten sich so, als wollten sie nicht entdeckt werden. Nico wartete hinter einem Strauch mit grossen Blättern. Er entschied sich dazu, aussen durchzugehen und danach durch die Strasse zu joggen. Er musste sich ein Bild von der Sache machen.
Hier läuft gerade irgendetwas ab und sein Kurier steht da genau mittendrin. Er liess sich nichts anmerken und lief die Reihen runter bis zu Strasse. Da angekommen, lief er nach links. Danach kreuzte er die Strasse des Geschehens und warf vorsichtig einen Blick da rein. Hinten konnte er den Wagen ausmachen. Der Bus war mit Pannenblinker am Strassenrand und die Schiebetüre auf der Seite war offen. Der Kurier war aber nicht in Sicht. Dann sieht er, dass ein Junge mit einem kleinen Scooter aus der Strasse auf ihn zufährt. Nico merkt, dass ihn der Junge entdeckt hat, aber er läuft unverändert weiter. Nachdem er den Sichtschutz des nächsten Wohnblocks erreicht hatte, gab er Gas. Er lief weiter bis zur nächsten Strasse und bog nach links ab. Auch hier gab es wieder die Verbindung zur Strasse mit dem Kurierwagen.
Als er den Weg erblickte, näherte er sich langsam. Er schaute hinter dem Busch hervor, der den Block zum Weg hin abschirmte und als Sichtschutz diente. Dann sah er bestätigt, was er Minuten zuvor bereits vermutet hatte. Hier ging etwas nicht mit richtigen Dingen zu. Eine Gruppe von Jungs rannten mit Paketen genau in seine Richtung! Er überlegte nicht lange und sprang mit einem Satz auf mitten auf den Pfad. Nico stand bereit, um die Jungs, die nach Paketdieben aussahen, zu stoppen. Zwischen Ihnen lagen ca. zwölf Meter. Sie hielten abrupt an und erblickten ihn. Einige von ihnen verfielen direkt in eine Schockstarre …
To be continued! 😉